So long, Lars!

Am 28. März ist mein Genosse, Freund und Mentor Lars Buchmann im Alter von 65 Jahren verstorben. Ihm habe ich diese Worte auf seiner Abschiedsfeier gewidmet:

Unser Genosse Lars ist am Mittwoch, den 28.März gestorben. Die meisten hier sind sicherlich immer noch fassungslos, dass er nun nicht mehr unter uns ist. Und daher ist es wichtig, dass wir diese Abschiedsfeier für ihn stattfinden lassen. Zu seinen Ehren, und auch aus Respekt. Möge sie uns helfen, dass Unbegreifbare zu verstehen.

Viele sind heute hierher gekommen, und das ist gut so. Denn es wurde durch den Tod von Lars eine Lücke in unsere Gemeinschaft gerissen. Und nicht nur das: Es wurde auch aus jeder und jedem, die Lars gut kannten und ihn mochten, etwas herausgerissen – hier – aus unserem Innersten.

Und es ist schön, dass auch Du, Nina, heute hier bist. Denn wir alle kannten Lars zwar, aber er hat wenig aus seinem Privatleben, aus seiner Familie, preisgegeben.

Viele hier sind vermutlich der Meinung, Lars gut zu kennen. Ich muss für mich heute sagen: Mich hat es erschreckt, wie wenig ich eigentlich wirklich über Lars weiß. Er war in dieser Hinsicht verschlossen, aber auch ich habe mich nicht sonderlich bemüht, mehr über sein Privates zu erfahren. So ist sein Tod für mich, womöglich auch für andere, eine Mahnung, dass es natürlich ein Leben abseits der Politik gibt. Unser Interesse – vor allem als Sozialistinnen und Sozialisten – sollte immer auch darin liegen, den ganzen Menschen kennen- und schätzen zu lernen.

Auch Karl Marx und Friedrich Engels haben das Manifest ja nicht nur zusammen geschrieben. Sie waren auch enge Freunde. Die Kraft ihrer Freundschaft war eine wichtige Grundlage für ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse gewesen.

Unfassbar, unbegreifbar – wie es Euch aller Wahrscheinlichkeit geht, geht es auch mir. Einen Tag vor Lars’ Tod war ich mit ihm unterwegs, zuerst beim Treffen des Barmbeker Bündnisses gegen den Pflegenotstand im Gemeindesaal der St. Gabriel Kirche und anschließend in der Stadtteilgruppe Barmbek.

Er war noch angetrieben von dem Erfolg der Volksinitiative, die innerhalb von drei Wochen 27.000 Unterschriften gesammelt hatte. Er erzählte mir ohne Punkt und Komma von seinen Ideen, wie das lokale Bündnis in Stadtteil nun etabliert und erweitert werden könne. Sein Enthusiasmus hat mich wie so oft angesteckt.

Und er war ja zudem auch ein ewiger Mahner, wie immer praktisch: Als ich mich dann abends bei der Stadtteilgruppe vorstellte, merkte er an, dass ich vergessen hätte, zu sagen, dass ich auch in Barmbek lebe und die Stadtteilgruppe meine Basiseinheit sei. So typisch. Auf Basisarbeit legte er ja selbst immer den größten Wert. Das musste man seiner Meinung daher auch immer wieder betonen.

Umso mehr haben wir mit der heutigen Abschiedsfeier auch die Aufgabe, ihn so zu verabschieden, wie das auch in seinem Sinne gewesen wäre. Wir wissen nur leider nicht, wie er darüber gedacht hat. Wie er überhaupt über Tod und Sterben dachte. Denn, mal ehrlich, wann reden wir schon in der Partei darüber?

Lars bleibt mit seinem Engagement, mit seiner Haltung, mit seinem Drängeln, mit seinem häufigen Mahnen und durch-und-durch lehrerhaften Verhalten, ein Teil von uns. Er hat die Partei, diesen Bezirk, mitgestaltet, der ohne ihn nicht so wäre, wie er war. Oft unbequem. Ein Drängler. Der manchmal wie getrieben wirkte, rastlos. Der antrieb und gern die Zügel in die Hand nahm. Raum einnahm, manchmal auch zu viel. Der aber immer großen Wert darauf gelegt hat, junge Menschen zu fördern. Der auch mich unterstützte.

Vor den letzten Bürgerschaftswahlen hat er auf eine eigene Bewerbung verzichtet, um eine Kampfkandidatur gegen mich zu vermeiden. Mit der Begründung, dass ich als junger Mensch mit Migrationshintergrund größere Chancen habe ein Direktmandat zu erlangen, hat er sich für die Partei selbst zurückgenommen und so seinen Anteil in großer Geschlossenheit geführten Wahlkampf unserer Partei ermöglicht. Und er war stolz darauf, dass wir ein zweites Büro im Wahlkreis eröffnet haben.

Er war immer dabei, immer ansprechbar, streitbarer Gegner mit guten Argumenten und scharfem Verstand. Und er war immer bereit Verantwortung zu übernehmen und erwartete es auch von anderen. Wer seinen hohen Ansprüchen nicht gerecht wurde, konnte auch mal schnell ermahnt werden.

Lars wollte nicht nur für die Menschen, sondern mit den Menschen gemeinsam Politik machen. Stellvertreter Politik war nicht sein Ding. Ihm war die Verbindung der außerparlamentarischen Bewegung mit der parlamentarischer Arbeit immer sehr wichtig.

Lars war Aufklärer und Aktivist im Sinne von gesellschaftlichen Fortschritts. War als Marxist der Überzeugung, dass Theorie und Praxis im Einklang stehen müssen. Er hat sehr gern die 11. These über Feuerbach zitiert: Die Philosophen haben die Welt verschieden interpretiert. Es gilt sie aber zu verändern. Linke Schönrednerei war ihm ein Gräuel.

Er war ein Praktiker, suchte immer die Bewegung im Stadtteil und arbeite zusammen mit den Bürgerinitiativen, wie z.B. mit Eden für Jeden oder Lebenswerter Hartzloh. Er hat den Zusammenhalt in der SG Barmbek gefördert und war immer ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung von konkreter Stadtteil-Politik.

Auch wenn Lars seinen politischen Schwerpunkt im Bezirk hatte, sah er über den Tellerrand der Kommunalpolitik. Er war Gewerkschafter der GEW Hamburg und Mitglied im Förderkreis der Museum der Arbeit. Er war ein konsequenter Streiter für eine humane, demokratische und sozial ausgleichende Schule und für einen grundlegenden Bildungsbegriff frei von neoliberalen Verwertungsinteressen. Er hat sich dafür in der LAG Bildung als auch im Verein Eine Schule für Alle konsequent und engagiert eingesetzt. Wir werden Lars als einen überzeugten Antifaschisten, Internationalisten, Demokraten und Marxisten in Erinnerung behalten.

Wir alle werden seine scharfen Analysen vermissen. Die davon geleitet waren, dass nur Widerspruch Bewegung schafft, dass die Aneignung von politischer Bildung unabdingbar ist.

Werden aber genauso auch seine kurzen, knappen Mails mitten aus der Nacht heraus versendet, die immer mit Moin, Moin anfingen und mit so Long geendet haben sehr vermissen.

Und vor allem werden wir Lars als einen großartigen, positiv gestimmten Menschen vermissen, der unermüdlich sich für eine menschlichere Gesellschaft engagiert hat.

Lars hinterlässt eine Lücke. Und vielleicht ist es gut, dass wir diese Lücke solange es geht und so oft es geht, auch wahrnehmen. Denn sie erinnert uns an unseren Genossen. Zu hoffen, dass sich sie irgendwann schließt, wäre daher vielleicht genau verkehrt.

Oder wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer einst seinem Umgang mit Verlust beschrieben hat:

„Zunächst: es gibt nichts,
was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann,
und man soll das auch gar nicht versuchen;
man muss es einfach aushalten und durchhalten;

das klingt zunächst sehr hart,

schreibt er weiter,

aber es ist doch zugleich ein großer Trost;
denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt,
bleibt man durch sie miteinander verbunden.“

So long, Lars!

Bella Ciao

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