Bericht über die Expert_innenanhörung zur ambulante Gesundheitsversorgung in Hamburg am 5. Juni 2018
von Anna Rinne*
Lange Wartezeiten, Aufnahmestopps, überlastete Ärzt_innen – die ambulante Gesundheitsversorgung in Hamburg ist in einer Schieflage. In vielen Stadtteilen herrscht Ärzt_innenmangel, besonders mit Kinderärzt_innen. Gründe genug, Fachleute zu einer Diskussion einzuladen. Sie fand am 5. Juni 2018 statt.
Die Expert_innen kamen auf Einladung von Deniz Celik, dem stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden und gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Bürgerschaft: Von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, der Barmer Ersatzkasse, vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VDÄÄ) Hamburg, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte e.V., der Verbraucherzentrale Hamburg e.V. und der Poliklinik-Initiative Veddel. Es war geballte Kompetenz an einem Tisch, aber es wurden auch sehr unterschiedliche Einschätzungen der Versorgungslage deutlich.
Fakt ist, dass Hamburg bundesweites Schlusslicht bei der kinderärztlichen Versorgung ist. 37 Stadtteile sind kinderärztlich unterversorgt, zugleich weisen zwei davon, Wilhelmsburg und Veddel, die höchste Krankheitsdichte bei Kindern bezogen auf Asthma und Bronchitis aus. In Veddel gibt es gar keine Kinderarztpraxis mehr, zugleich empfangen 44,4% der dort lebenden Kinder Sozialhilfe. Auf der anderen Seite gehört Blankenese zu den 10 Stadtteilen mit der geringsten Krankheitsdichte, aber dort praktizieren drei Kinderärzt_innen – bei nur 0,8 Prozent Sozialhilfeempfänger_innen. Ganz ähnlich sieht es bei anderen Fachärzt_innen aus: Wo die reicheren Menschen leben, ist die Versorgung gut bis sehr gut; wo die Ärmeren wohnen, ist sie ungenügend bis schlecht.
Dr. Jochen Kriens von kassenärztlichen Vereinigung Hamburg befand die Gesundheitsversorgung dennoch als überdurchschnittlich gut, zudem die Menschen eine freie Arztwahl hätten. In allen Fachgruppen gäbe es sogar eine Überversorgung – bezogen auf die gesamte Stadt.
Frank Liedtke von der Barmer konstatierte ebenfalls, dass es zu viele Ärzt_innen in Hamburg gäbe, allerdings dauerte die Terminvergabe z.B. bei Fachärzt_innen und Psychoterapeut_innen oft Monate. Zudem würden auch Patient_innen aus dem Umland die haus- und kinderärztlichen Angebote in Anspruch nehmen. Er schlug im Gegensatz zu dem jetzigen Modell, dass Hamburg als gesamten Planungsbereich bei der ärztlichen Versorgung ansieht, Planungsbezirke vor, um auch der dem Umland Rechnung zu tragen, und plädierte für eine intelligente Patient_innensteuerung.
Dr. Annette Lingenauber vom Berufsverband der Kinder und Jugendärzte e.V., wies auf die steigenden Geburtenzahlen hin. Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen nähmen zu. Kinderärzt_innen hätten oft 55-Stunden-Arbeitswochen.
Kai-Uwe Helmers vom VDÄÄ, wies auf Versorgungslücken für Menschen ohne Krankenversicherung oder Papiere hin. Er stellte dar, dass Patient_innen zu viel zu vielen Untersuchungen geschickt würden und sah in den IGEL -Leistungen zudem eine Fehlversorgung, die „Zeit fressen“ würden. Es gäbe auch Hausärzt_innensitze, die nicht der unmittelbar ersten Versorgung dienten. Auch fehle es an Sozial- und Rechtsberatung: Je ärmer und belasteter Menschen seien, desto mehr Beratungsbedarf hätten sie. Auch hätten viele Kinderärzt_innen Aufnahmestopps und in manchen müsse man früh erscheinen, um überhaupt in das Sprechzimmer zu kommen.
Philipp Dickel von der Poliklinikinitiative Veddel, schilderte den wachsenden Bedarf an medizinischer Versorgung. Patient_innen seien oft multimorbide , in Veddel öfter als anderswo. Die Lebenserwartung sei dort ebenfalls geringer.
Christoph Kranich, von der Verbraucherzentrale Hamburg e.V., sagte, die Bedarfsplanung sei mit Zahlen aus den 1990ern veraltet, Zahlen aus den 1990ern. Er fände eine Regelung, wie sie auch für das Pflege-Personal in Krankenhäusern vorgesehen sei, auch für den ambulanten Bereich sinnvoll. Er schlug vor, nach Stadtvierteln nicht Großbereichen zu untergliedern, außerdem Belastungszuschläge in den Brennpunkten zu gewähren. Honorare zwischen Kassen- und Privatpatient_innen müssten angeglichen, öffentliche Gesundheitszentren eingerichtet werden.
Die Debatte um die besten Lösungen verlief kontrovers. Es wurde aber deutlich, dass Gesundheit ein Pfeiler für soziale Gerechtigkeit ist. Allein mehr Ärzt_innen in Stadtteil anzusiedeln, die denen viele einkommensschwache Menschen leben, lösen deren Armutsprobleme nicht. Auch die Ärzt_innen selbst müssen ein auskommendes Einkommen haben. Die Folgen der sozialen Spaltung dürfen nicht zum Maßstab ihrer Tätigkeit, ihrer Terminvergabe, ihrer Behandlungsmethoden werden. Das bedarf gesellschaftspolitischer Anstrengungen und einer neu gedachten medizinischen Versorgung, die allen Menschen freien Zugang ermöglicht – unabhängig vom Geldbeutel, unabhängig vom Wohnort.
siehe auch: Große Anfrage der Linksfraktion zur Entwicklung, Verteilung und Inanspruchnahme der ambulanten ärztlichen Versorgung und der vertragsärztlichen Bedarfsplanung in Hamburg, Drucksache 21/11112
*Anna Rinne ist Fachreferentin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft für Gesundheit und Pflege, Senior_innen und Inklusion
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